Reine Haut für alle

Harz_Tour-1658

Die Bildretusche ist schon so alt wie das Foto selbst. Es wird manipuliert, retuschiert und glatt gezogen, was das Zeug hält. Scheinbar ist dieser Prozess so eng mit der Fotografie verbunden, wie Kuba mit Zigarren. Warum aber müssen die Frauen auf Werbeplakaten die glatteste, unnatürlichste Haut der Welt haben? Wieso nimmt dieses Bild auch immer mehr den Alltag ein? Kein Mensch ist perfekt, wir sind so. Haben mal einen Pickel, ungleiche Brüste oder Sommersprossen. Warum schaffen wir es nicht, uns so zu akzeptieren, wie wir wirklich sind?

Warum ist die Selbstachtung so gering, dass wir uns oft hinter Make Up, Lipgloss oder Schönheitsoperationen verstecken? Warum brauchen wir das alles? Wir stehen alle täglich vor dem Spiegel, schauen uns an. Wir bewerten uns kritisch, ob die Frisur sitzt und das Outfit stimmt und denken dann, dass das uns hilft, uns wohl zu fühlen. Ein Gefühl der Bestätigung, was man wiederum von anderen bekommt: „Mensch, ist die Jacke neu?“ „Boah, warst du beim Friseur? Sieht toll aus.“ Das verschärft natürlich den Drang danach, perfekt aussehen zu wollen. Die Profilierung im Alltag, im Büro, in der Straßenbahn, im Club nimmt zu. Wir schaffen uns, je nach Zugehörigkeit, eigene Uniformen, um als Teil dieser Gruppe wahrgenommen zu werden.

Man hat das Gefühl, dass alles was wir ausstrahlen, nur auf Äußerlichkeiten abzielt. Als Fotograf bilde ich immer ab, was ich sehe und was ich für gut erachte. So kann ich mich dem gesamten Prozess nicht entziehen. Ich suche mir auch nicht unvorteilhafte „Modelle“  aus und trotzdem lege ich wert drauf, die kleinen Makel, die Menschen nun mal ausmachen, mit abzubilden. Sagt mir mein Model beim Fotos machen: „Ui, da hab ich aber große Augenringe“, werden sie auch bei mir reduziert. Aber ist es das, was ich wirklich will? Möchte ich nicht lieber radikal, ehrliche Fotos fabrizieren, als ein Teil von der gesamten Foto-Hype-Maschinerie zu sein?

Ich sollte ehrlich zu mir selbst sein, nein, es wird noch lange so weiter gehen, denn jeder von uns strebt nach Konsumgütern, ob der persönliche „Gott“ nun Gucci, Apple oder Ray Ban heißt. Wir wollen Teil eines Gesamtbildes sein, dem man sich unterwirft oder man gilt als andersartig. Ein Problem was wir derzeit auch haben: Die Leute, die sich abgrenzen wollen, bilden mittlerweile schon einen eigenen Stil und sind somit auch Teil der Gesamtheit.Es gibt kein „anders“ mehr. Wir rennen alle in irgendeiner Weise einem Hype hinterher.

Es ist ein bisschen wie U-Bahn fahren, jedes Grüppchen steigt wo anders aus. Die einen möchten Portraits im Comicstyle mit großen Köpfen machen, die anderen wollen Hochglanz-Haut herstellen und ich möchte scheinbar reales abbilden. Also stolpere ich der Haltestelle entgehen und probiere die Bilder im Kopf weiter umzusetzen.

Teile doch diesen Beitrag:
Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
Telegram
WhatsApp

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Martin Neuhof

Ich bin geborener Leipziger, ein Fotograf und aktiver Mensch. Ich schreibe seit 2005 Dinge ins Internet. Hier findet ihr eine Mischung aus den Themen Fotografie, Aktivismus und Politik.

Die letzten Portfolio Beiträge